Ich habe einen Old-School-Hintergrund. AD&D in der zweiten Edition war mein erstes Rollenspiel, welches ich wirklich geleitet habe (wir vergessen hier mal dieses Earthdawn-Experiment). Durch einen Lesefehler habe ich das Spiel immer schon als recht tödlich für die meisten Charaktere angesehen.
Schauen wir uns doch nur mal einen durchschnittlichen Stufe 1 Charakter an. Dieser Charakter hat in D&D abhängig von der Klasse 1W4 bis 1W8 Trefferpunkte + Konstitutionsbonus. Minimal kommen wir also immer auf 1 und im Maximum auf 11 Trefferpunkte. Sofern man nun bedenkt, dass ein Goblin mit einem Schwert 1W6 Trefferpunkte, also im Durchschnitt 3,5 Punkte Schaden bei einem Angriff anrichtet, beißen bei einem erfolgreichen Angriff 3 von 11 Stufe 1 Charakteren ins Gras.
Nun gab es eine sehr große Diskussion über einen Vorfall bei der „Impro-Theater-D&D-live-action-YouTube-Show“ Critical Role. Anscheinend hat es doch tatsächlich einen Charakter erwischt und ein Teil der Fans flippt total aus.
Ich für meinen Teil kann das nicht verstehen und stelle mir zwei Fragen:
- Wieso flippen die wegen einem toten Charakter aus?
- Sind das auch Game of Thrones Fans?
Ich habe in meiner Zeit als Spielleiter mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun gehabt und habe hin und wieder auch emotionale Dramen miterlebt – nur weil ein Charakter das Zeitliche gesegnet hat oder auch wegen viel bescheuerteren Sachen. Jetzt kann man sagen das manch einer in diesem Hobbybereich ein wenig zu tief mit seinem Charakter verbunden ist und es gibt definitiv Personen, die nehmen den ganzen Scheiß einfach viel zu ernst. Ich sag mal so, ich hab schon langjährige Freundschaften wegen emotional instabilen Vollhorsten und -horstinen zerbrechen sehen. Wenn die Gruppe sich nicht sowieso gerade zerlegt habe ich eine starke Tendenz mich aus solchen Gruppen zu verpissen. Vielleicht schreibe ich hierzu mal was und nenne es die dunkle Seite des Rollenspiels.
Ich schweife ab!
Kommen wir wieder zurück zum Thema. Tote Charaktere gehören hin und wieder halt zum Rollenspiel dazu. Das ist ein wenig wie bei Mensch ärgere dich nicht. In vielen Fällen – sofern man keine drei Seiten Lebensgeschichte schreiben muss – ist das kein Beinbruch. Das gilt im Besonderen bei D&D oder Superhelden-RPGs, aber auch bei vielen anderen Rollenspielen. Charaktere müssen ja nicht tot bleiben und manchmal ist es vielleicht sogar gut für die Geschichte, die sich entwickelt.
George R. R. Martin, der Schöpfer von Game of Thrones hat früher ein Superhelden-RPG geleitet und dabei gab es auch jede Menge tote Charaktere. Da gibt es dann auch Parallelen zu Game of Thrones. Wäre eine Serie wie GoT ein D&D-Spiel würden die Charaktere ja auch ins Spiel kommen, keiner weiß was los ist und eventuell stirbt der coole Charakter auch schon in der ersten Folge. Dann kommt halt sein Bruder und will ihn rächen oder irgendetwas anderes passiert. Die Story geht weiter und egal wie lieb man einen Charakter gewonnen hat – keiner ist sicher vor dem grimmigen Schnitter. Das erzeugt Emotionen, das ist Story.
Kasimir Urbanski, the RPGPundit, hat diesbezüglich ein schönes Video produziert. Das Video findet ihr -> Video: CriticalRole Reaction Proves There’s No „D&D Community“ (Englisch)
Was RPGPundit über Old-School-D&D sagt stimmt mit meiner Meinung überein. Spielt man ein Old-School-Spiel und es überlebt ein Charakter ist das eine Leistung. Man braucht keine drei Seiten Background – man spielt und eine Geschichte entwickelt sich.
Wer RPGPundits Play-Reports verfolgt weiß um Bill the Elf und im Video spricht der Spieler von Bill the Elf selber. Ich musste schon so häufig über die Stories am Tisch von RPGPundit lachen und viele interessante Dinge sind nur passiert weil jede Menge Charaktere das Zeitliche segnen.
Es gibt viele Rollenspieler für die der Tod von Charakteren ein rotes Tuch ist und ich muss sagen, dass ich früher auch mal darüber nachgedacht habe Charaktere durch verschiedene Möglichkeiten überleben zu lassen. Es gibt auch viele Storygames, welche extra für solch einen Fall spezielle Lösungen vorgesehen haben – so zum Beispiele Dramapunkte bei Buffy The Vampire Slayer (übrigens sehr zu empfehlen).
Für mich gehört es aber einfach zu OSR-Spielen dazu. Man kann auf Gefahren hinweisen, im Prinzip liegt es aber immer am Spieler zu entscheiden ob er die Gefahr in Kauf nimmt und evtl. eine Falle auslöst, in Lava fällt oder ähnliches. Ich beschreibe gerne Gefahren, die sich anbahnen. Geht der Spieler aber trotzdem den Weg kommt die Falle, er springt nicht weit genug oder es gibt halt den finalen Schwertstreich.
Sind dann die Trefferpunkte weg oder es kommt der Bauchplatscher in die Lave heißt es: hier, würfle 6 mal 3w6 in Reihe, such dir eine Klasse aus und dann sehe ich mal wie ich dich wieder ins Spiel bringe.
Als Spielleiter kann ich mittlerweile gut damit leben. Allerdings ist der letzte tote Charakter, der auf meine Kappe geht auch schon eine Weile her… der letzte Tote war ein Trail of Cthulhu Charakter, der sich selbst in die Luft gejagt hat. Absichtlich! Ich hindere da ja niemanden.
Euer Hisho